Pressetexte


Einmal Kapitän sein

Sonntag Aktuell - von Gerald Punzl

Das perfekte Verkehrsmittel für Holland-Urlauber ist eine Kombination aus Hausboot und Fahrrad. In dem viel zitierten "Land aus dem Meer" können Freizeitskipper auch ohne Führerschein auf große Fahrt gehen. Die Fahrräder sind natürlich mit an Bord der schwimmenden Ferienappartements.

Statistisch gesehen wollen die meisten kleinen Jungs einmal Lokomotivführer, Feuerwehrmann oder Astronaut werden. Ich dagegen träumte davon, als Kapitän schicke Luxusliner über die Meere zu schippern. Doch außer ein paar Paddeltouren auf heimischen Seen ist daraus nichts geworden. Bis mir Jan die Schlüssel für ein Hausboot in die Hände drückte.

"Schon mal am Ruder gestanden?" Ich schüttle den Kopf. "Keine Sorge", er deutet auf eine zehn Meter lange Pénichette am Steg, "damit haben Landratten kein Problem". Nach einem Schnellkurs in Motor- und Manövertechnik packen wir die Kombüse mit Lebensmitteln voll, drehen ein paar Proberunden und tuckern los. 170 Kilometer durch Hollands Süden liegen vor uns, über Flüsschen und Liliputkanäle, durch Minischleusen, entlang unberührter Natur, schnuckeliger Dörfer und historischer Städte. Doch aller Anfang ist schwer.

Jans guter Rat, stets schnurgerade in die Schleusen einzulaufen, ist leichter gesagt als getan. Aber der Schleusenwärter ist von der Sorte Gutmensch, greift unsere Bugleine und bringt den kleinen Binnenkreuzer in Position. Glucksend füllt sich das Becken. Nach kurzer Zeit öffnet sich das Schleusentor, eine kleine Brücke vor uns hebt sich und gibt die Fahrt auf die Vecht frei.

Einen Ruderschlag nach rechts, ein paar Schraubendrehungen, Südhollands Wasserlandschaften zeigen sich von ihrer beschaulichsten Seite. Schmucke Gründerzeitvillen grüßen vom Ufer und adrette Backsgteinhäuschen mit leuchtend bunten Tulpen im Gärtchen. Graureiher stehen steif im Schilf. Kühe malmen, Schafe blöken. Ab und an kreuzt eine Entenfamilie unseren Kurs. Ganz zur Freude unserer Kinder paddeln sie heran und betteln schnatternd um Brot.

Nach drei Stunden Flussidylle kommt das erste Highligt in Sicht. Wir legen an, vertäuen das Boot und marschieren entlang von Apfel- und Birnbäumen auf den strohgedeckten Bauernhof De Willigen zu. "Hinein in die gute Stube", begrüßt uns Ryk Wüllig im Stall. Was sich da vor unseren Augen auftut, sind ein reizendes Sammelsurium musealer Landwirtschaftsgeräte und Regale voll goldgelber Käselaibe. "Mit unseren 75 Milchkühen", erzählt Ryk, "erzeugen wir pro Tag rund 100 Kilo Gouda." Während er ein paar ordentliche Stücke von den Leckeren absäbelt, macht er uns mit den Geheimnissen der Gouda-Herstellung vertraut. "Käse", erklärt Ryk, "ist eines der ältesten Nahrungsmittel der Welt. Vor 5000 Jahren schon wurde er in Mesopotamien, dem heutigen Irak, produziert."

Hausboot fahren ist nicht jedermanns Sache. Wer Trubel sucht, Luxus braucht oder zwei linke Hände hat, ist mit dem schwimmenden Ferienhaus schlecht beraten. Gefragt sind Gelassenheit, Abenteuerlust und reichlich gute Laune. Vor allem dann, wenn der Himmel mal kübelt, der Gasherd streikt, der Kühlschrank meutert, die Kids schlecht drauf sind oder der Brückenwärter zwei Stunden Siesta macht. Dafür freilich ist man auch sein eigener Herr : Je nach Gusto schlägt man sein Nachtlager in unberührter Natur auf oder ankert in trauter Nachbarschaft mit Ozeandampern im Hafen von Amsterdam, radelt durch Dörfer und Städtchen, hält ein Schwätzchen mit dem Schleusenwärter.

Wie Rinus Dobber, der nichts gegen einen kleinen Plausch hat. Seit mehr als 35 Jahren liftet der 58-jährige in Muiden alles, was Wasser unterm Kiel hat, von der Vecht ins Ijsselmeer und zurück. Derweil werden die Tische und Stühle der Kneipe Ome Ko an seiner Schleuse zum Laufsteg der Eitelkeit, und Rinus gibt Geschichten zum Besten. Was er nicht schon alles gesehen hat : schrullige Weltumsegler, PS-Potentaten, Multimillionäre, Stars und Sternchen - und natürlich Königin Beatrix und Prinz Claus. "Vor gut 20 Jahren", schwärmt er, "liefen die beiden hier ein. Einfach so mit ihrem Segler. Ohne Rummel. Ohne Bodyguard. Und wollten sogar Schleusengeld bezahlen. Doch bei meiner Ehre, ich habe nicht einen Cent genommen !"

Wir verlassen das mittelalterliche Muideen, verabschieden uns von illustren Yachtgewusel rund um die Türme der trutzigen Festung Muiderslot und nehmen Kurs auf Amsterdam. In der Weltstadt an der Mündung der Amstel ins Ijsselmeer mit ihren fast 1300 Brücken und mehr als 2500 Hausbooten heißt es für uns freilich erst einmal Kopf einziehen. Manche Altstadtbrücken sind nämlich eher in als über das Wasser gebaut und so niedrig, dass kaum noch ein Bierdeckel zwischen sie und das Dach unserer Penichette passt.

"Herzlich willkommen in Gouda!" Die beiden Herren, die zwei Tage später an unseren Binnenkreuzer klopfen, stellen sich als Mitarbeiter des Hafenamtes vor und kassieren 7,60 Euro Liegegebühr. Dann drücken sie uns einen Stadtplan in die Hand und wünschen uns einen schönen Tag. Die berühmteste Käsestadt der Welt präsentiert sich mit romantischen Grachten, einem von Türmchen und Erkern überbordenden gotischen 'Stadhuis' sowie viel Backstein, zwischen all dem Frau Antje mit blütenweißem Flügelhäubchen und Tracht nostalgische Hollandträume weckt.

Seit der Antike ist die Gewichtsbestimmung ein zentrales Maß des Handelns. Während sich Gouda dazu von Amts wegen eine Käsewaage leistete, zweckentfremdete das zwei Bootsstunden entfernte Oudewater seine Waage zur Hexenjagd. Verdächtige Personen wurden gewogen und wenn Körpergewicht und Figur nicht im gewünschten Einklang standen, war in jeder Hinsicht der Teufel los. "Verdächtige", sagt Janette Blake an Oudewaters Heksenwaag gelehnt, "gab es wie Sand am Meer. Jede Frau konnte eine Hexe sein. Es reichte, sich unbeliebt zu machen oder etwas zu besitzen, was ein anderer wollte - schon lief man Gefahr, angeschwärzt zu werden. Einmal beschuldigt, bedeutete das Kerker, Folter, Verhör und Waage."

Das begeistert unsere Sprösslinge sehr, und schon schallt es wie aus einer Kehle: "Mama, ab auf die Waage!" Die freilich hat so was kommen sehen und sich davongemacht. Statt zum Opfer wilder Kinderfantasien zu werden, erwirbt sie auf dem Markt frischen Fisch. Der wird heute Abend in Utrecht in der Pfanne landen. Doch bevor wir in der quirligen Studentenstadt anlegen, darf ich erst einmal wieder Kapitän sein. Und so sind die nächsten Stunden ausgefüllt mit gemütlichem Dahintuckern. Von grünen Wiesenlandschaften grüßen Windmühlen. Zwischendurch eine Schleuse und noch eine und noch eine.......

INFO

Startpunkt ist der Yachthafen von Loosdrecht, 25 Kilometer von Utrecht.

Boote:
Die Pénichettes des französischen Hausbootvermieters Locaboat Holidays sind für zwei bis zwölf Personen ausgelegt. Die Boote verfügen über Schlafkabine, Nasszelle, Salon, komplett eingerichete Küche, 12-V-Bordnetz, CD-Radio sowie Zentralheizung. Ihre Geschwindigkeit beträgt maximal 12km/h. Daher dürfen die Boote ohne Führerschein gefahren werden.

Tourenvorschläge:
Von Loosdrecht aus bietet Locaboat mehrere ein- bis zweiwöchige Rundstrecken an. Jede Tour ist ausführlich dokumientiert. Das Infomaterial enthält auch die Schleusen- und Brückendienstzeiten sowie die Durchfahrtshöhe.

Preise :
Die Saison geht bis Ende November. Pro Woche kostet das kleinste Boot (Penichette 930, 2 Personen) ab 7t63 Euro, das größte (Penichette 1500 FB, bis 12 Personen) ab 2.667 Euro. Hinzu kommen die Betriebskostenpauschale, Endreinigung sowie Schleusen-, Brücken und Liegegebühren.







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