Pressetexte


Serenissima, Du Schöne

Rheinpfalz / von Jule Reiner

Venedig mit dem Hausboot zu erobern, ist ein bilderreiches Vergnügen. Die Lagunenstadt zeigt sich vom Wasser aus in ihrer unsterblichen Schönheit. Jährlich kommen 15 Millionen Touristen in die einzigartige Stadt

Fast sieht es so aus wie auf dem rätselhaften Gemälde des Renaissancemalers Giorgione. Über dem akaziengrünen Wasser des Flusses Sile liegen melancholische Morgenschatten, flaumige Jungschwäne treiben unter Weidenarbmen und im getupften Laubwald des Flussbogens reihen sich palladianische Villen. Nur bettelt ein kleiner Hund vor der Bootstour um einen Happen vom Frühstücksschinken und die Landschaft ist nicht ganz so elegisch wie auf jenem Bild aus dem 15.Jahrhundert mit dem Titel "Das Gewitter".

Und es klappert und schnarrt auf unserem Hausboot. Die Pumpe, das Heizungsaggregat, das Schwappen der Weller, die frühmorgens als sanfter Wecker an der Bootswand lecken. Dann steigt der duft von Espresso auf und die Bootsgemeinschaft brütet über den Karten des Fluss- und Kanalnetzes, das von der Bootsbasis beim Städtchen Casier in die berühmteste Lagune der Welt führt. Wir sind asugerüstet mit 60 PS, Bugstrahlruder und Mikrowelle in der Kombüse. Leinen los! Und sogleich wird das Leben zum ruhigen Fluss.

Die Grande Serenissima, die "allerdurchlauchteste Stadt des San Marco", sieht auf eienr Luftaufnahme aus wie ein dicker Fisch, dessen Inneres von einer s-förmigen Ader durchzogen ist - dem Canal Grande. Ringsum wimmelt es von Inseln und Inselchen, 60 sollen es sein. Davor legt sich schützend der fischgrätenhafte Arm des Lido. In Gärten mit alten Zypressen ruhen steinerne Löwen, Pinienzapfen aus Terracotta, marmorne Venusstatuen, und bald passiert das Boot die Produtionshallen der Glasmacher Vetrofond in Casale sul Sile. Die erste dieser ehrwürdigen Fassaden, hinter denen am Glück des schönen Augenblicks gearbeitet wird. Lichtgestalten der berühmten Foscarini Manufaktur aus mundgeblasenem Muranoglas entstehen hier. Der erste große Hauch von Venetien.

Bootszeit ist Lesezeit. So vieles ist über Venedig geschrieben, gefilmt, gesagt worden. Man hat die Szene der im Nebel verschwindenden Gondeln vor Augen, wenn sie Trauer tragen, oder Thomas Manns Venedig: "Die schmeichlerische und verdächtige Schöne". Man sieht den roten Seidenschuh der Catherine Hepburn auf einer Brückentreppe aus dem Film "Die Reise meines Lebens", oder das Zitat auf dies Symbol der Liebe aus der herrlichen Beziehungskomödie "Brot und Tulpen".

In einer Lektüre über das 11.Jahrhundert lebt die große Räuberbande der Venezianer auf, als sie sich anschickten, Konstantinopel zu plündern und zur Großmacht aufzusteigen. Eine Markusstadt wird im 18.Jahrhundert skizziert, die zum Spielcasino Europas geworden war: "Diese Stadt, halb Märchen, halb Fremdenfalle, in deren fauliger Luft die Kunst einst schwelgerisch aufwucherte...." heißt es in Thomas Manns "Tod in Venedig". Heute reißen sich 15 Millionen Touristen im Jahr um Venedig. Der Kaufpreis für ein Appartement liegt bei 5.000 Euro pro Quadratkilometer und ein Gondoliere verfügt ungefähr über ein drei- bis vierfaches Monatseinkommen, zahlt jedoch 400.000 Euro für seine Lizenz.

Eine Schleuse und drei Stunden später münden der Sile und sein Canal Silone in die Wattenlandschaft der Lagune. Der Blick schweift über das von Salinen, Binsengras und ausladenden Keschernetzen der Fischer durchzogene Vogelparadies. Es ist sehr still über dem Flachwasser und den Sumpfinselchen, aus denen Schnepfen und Kormorane auffliegen. Anlegen in Burano - ein bildhübscher Anblick. Blutorangenrot und grün wie Pistazieneis, gelb wie Limonenlikör und violett wie Drogenroben sind die Häuschen angestrichen. Die Insel der Spitzenklöpplerinnen hatte sich immer den lauten Farben verschrieben. Landgang ins Reich der feinen Tischwäsche, der Siedenschals, Karnvalsmasken und hübschen Trattorien.

Am Abend bleigt die Kombüse kalt, weil die Trattoria Da Romano schon von außen herrlich aussieht. Ihre Grandezza offenbart sie mit einer offenen Küche, die mit Keramiktellern aus dem 17.Jahrhundert dekoriert ist und wo in gewaltigen Kupfertöpfen köstliche Gerichte entstehen : von Risotto im Fischsud bis zum frittierten gemischten Fisch. Zugleich ist das Lokal ein Museum der Künste. "1400 Bilder aus der Familiensammlung von 100 Jahren hängen an diesen Wänden", freut sich der Patron Signore Barbaro. Von unbekannten bis berühmten Künstlern geschenkt, die im Laufe der Jahre zur Biennale kamen. "Einige sind so teuer geworden, dass wir die Originalgemälde durch Kopien ersetzen mussten. Jetzt ist kein Zentimeter Pletz mehr an den Wänden, Finito la Bienale Da Romano", lacht Barbaro.

Finito auch die Sammlung von Seidenschals und Klöppelwerk an Bord. Jetzt geht es ums Glas. Murano ist ocker, braun und umbra. Und wenn Burano die leuchtfarbenen Kanälchen hatte, dann fesseln in Murano die Schaufenster, die Fabrikhallen, die Galerien mit übervollen Lüstern, mit kunstvollen Schalen, Vasen oder blutroten Trinkpokalen, die immer schon Klassiker im Repertoire der Glasbläser waren. Weshalb sie ebenso im Museum zu finden sind wie käufliche Tischdekoration. Dies weckt eine gewisse Konsumeuphorie, die den Venezianern schon immer lieb und teuer war. Auf der Rückfahrt zum Bootsanleger in der Dämmerung wirken die bereits in Schwarz getauchten Inselchen in der Lagune wie Scherenschnitte. Nebelschleuer liegen überm Wasser. Die richtige Stimmung für den großen Auftritt der Serenissima am anderen Tag.

Und dann kommen sie wie von alleine - dieser Canaletto-Ansichten! Giovanni Antonio Canale, genannte Canaletto, portraitierte im 17. und 18. Jahrhundert mit fotorealistischer Perspektive und tiefgründigen Farben die unvergängliche Herrscherin über Kultur, Ästhetik und Machtgebaren. Bei der Anfahrt auf San Marco stehen die Modelle zu den Bildern noch immer vor Backbord. Waren es zu Canalettos Zeiten allerdings die Flotten des Arsenals, die Gondeln und Warenboote, so sind es jetzt schnaubende Vaporetti, Wassertaxis, Bauboote, kleine Sportflitzer mit sonnenbebrillten Schönheiten, oder ein Abschleppboot, das einen solchen Flitzer am Haken aht. Und es kreuzen diejenigen aus dem Hause Riva, in deren poliertem Teakholzbug sich silberne Delphine spiegeln wie der Jaguar auf einer Luxuslimousine.

Auf San Marco muss man vom Wasser her kommen, in langsamer Kamerafahrt. Ein herrlicher, unrealistischer, völlig unmoderner Anblick. Es ist, als würde ein vielstimmiger Kanon aus "Ooohs" und "Aaahs" über den Palästen mit ihren Arkadenbögen, der Markuskirche, dem Campaanille und den Säulen von San Marco angestimmt. Wenn das Boot im Hafen des gegenüberliegenden Inselchens San Giorgio auf seinem Logenplatz vertäut ist, setzt man mit dem Vaporetto über und reiht sich in den Kanon ein, schreitet das Cafe Florian ab, lauscht den altmodischen Weisen der Kammerensembles, die wie Spieldosenfiguren auf ihren Bühnen sitzen und mechanisch die Instrumente bestreichen. Dann lässt man sich einfach durch die Gassen treiben, nimmt hier einen Espresso, steht dort auf einer Brücke und staunt darüber, dass die Gondoliere nicht nur im Film singen.

Und wenn man sich aus den Touristenströmen löst und durch schmale Seitenkanäle schlendert, gelangt man vielleicht zufällig auf den wundersamen Campo San Maurizio und ist im tausendjährigen Venedig angekommen. Keine Souvenirhändler, keine Taubenfutterverkäufer - nur ehrwürdig bröckelnde Palastfassaden und wohltuende Stille, in der das Klappern von ein paar Schuhabsätzen einen zarten Takt schlägt. In der Nacht auf San Marco schlafen die Tauben in den Arkadenbögen, und eines der Orchester stimmt einen letzten langsamen Walzer an, zu dem Paare über den Platz tanzen. Gegenüber auf San Giorgio schläft man im Gurgeln des steigenden Wassers auf dem wahrscheinlich teuersten Liegeplatz der Welt.




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